Künstliche Intelligenz im Bildungssektor: Die nächste Revolution?
„Revolution im Klassenzimmer“ – so titelte der Spiegel vor genau 40 Jahren, im November 1984, über die Einführung von Computern an deutschen Schulen. Und tatsächlich: Digitale Technologien wie Computer, Tablets oder elektronische Lernplattformen haben die Bildungslandschaft seitdem stark verändert – allerdings verlief die angekündigte „Revolution“ schleppender, als prognostiziert. Auch heute sprechen Expertinnen und Experten aus Medien, Verbänden und Politik wieder von einer Revolution für den Bildungsbereich. Diesmal im Fokus: die Künstliche Intelligenz.
„KI bietet sowohl Lehrkräften als auch Schülerinnen und Schülern große Chancen, Lernprozesse zu optimieren“, so Lehrer Florian Nuxoll 2023 in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Künstliche Intelligenz biete nicht nur theoretische Vorteile, sondern „Lösungen für Probleme und Herausforderungen, die alle schulischen Akteure seit Langem wahrnehmen“. Eine aktuelle Umfrage des Digitalverbandes Bitkom zeigt: Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte haben entsprechende Anwendungen bereits genutzt, nur 7 Prozent schließen eine Nutzung kategorisch aus. Die deutschen Bundesländer plädieren in einer aktuellen Handlungsempfehlung der Kultusministerkonferenz (KMK) für einen „konstruktiv-kritischen“ Umgang mit KI in schulischen Bildungsprozessen. „Schule muss Wege finden, die positiven Möglichkeiten der KI mit Blick auf die Förderung von Kindern und Jugendlichen im Lernprozess einzusetzen“, betont KMK-Präsidentin Christine Streichert-Clivot. Aber wie könnte dieser Weg aussehen?
Large Language Models und intelligente Tutorsysteme
Unterschieden wird zwischen zwei Gruppen von KI-Anwendungen, die in Schulen, Hochschulen und der beruflichen Bildung eingesetzt werden: generative KI-Systeme (wie z.B. ChatGPT oder Claude) und intelligente Tutorsysteme (ITS). Generative KI beruht meist auf sogenannten Large Language Models (LLMs) und ist in der Lage, qualitativ hochwertige Antworten auch auf komplexe Fragestellungen zu geben. Diese Systeme werden mit enormen Mengen an Textdaten trainiert und können auf dieser Basis Wahrscheinlichkeiten für sinnvolle Wortfolgen berechnen. Bei einer Anfrage nutzt das Modell die gelernten Muster, um Wort für Wort eine kontextuell passende und inhaltlich kohärente Antwort zu generieren. Intelligente Tutorsysteme wiederum simulieren mit spezialisierter KI eine Art individuellen Nachhilfeunterricht. So können sie helfen, Wissenslücken zu erkennen, personalisierte Übungen anzubieten und adaptive Lernpfade zu erstellen. Durch kontinuierliches Feedback ermöglichen sie im besten Fall einen differenzierten, auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittenen Unterricht.
Neben der Unterrichtsgestaltung und Personalisierung der Lehrinhalte gibt es weitere Einsatzgebiete: In der Schülerbewertung kann KI durch automatisierte, objektive Bewertungssysteme den Prozess effizienter gestalten – und gleichzeitig detaillierte Einblicke in den Lernfortschritt einzelner Schülerinnen und Schüler geben. In der Bildungsverwaltung lassen sich mithilfe von KI administrative Prozesse wie Stundenplanung und Ressourcenmanagement vereinfachen.
KI anstelle ausgebildeter Lehrkräfte?
Werden Lehrkräfte also bald von KI-Systemen ersetzt? Der Freiburger Gymnasiallehrer Patrick Bonner, der schon länger ChatGPT im Unterricht nutzt, hat dazu eine klare Meinung. „Lernen ist und bleibt ein sozialer Prozess. KI kann mich hier unterstützen, aber auf keinen Fall ersetzen“, sagte Bonner dem SWR. Dass Künstliche Intelligenz nicht als Ersatz für Lehrkräfte taugt, sondern ein Unterstützungswerkzeug ist, bestätigt auch Susanne Lin-Klitzing, Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverband: „Wer davon träumt, dank KI zeitnah weniger professionelle Lehrkräfte als bisher einsetzen oder sie gar durch KI ersetzen zu können, ist auf dem Holzweg!“
In jedem Fall erfordert der Einsatz von KI im Bildungsbereich einen reflektierten und kritischen Umgang – zum Beispiel in Bezug auf Didaktik. Julia Knopf, Professorin für Didaktik und Digitalisierung und Leiterin des Forschungsinstitut Bildung Digital, warnt vor oberflächlichen Ansätzen: „Es gibt Hunderte von KI-Tools auf dem Bildungsmarkt, viele davon sind didaktisch trivial.“ Die Didaktik werde durch KI nicht per se verbessert, sagt auch Lin-Klitzing im Interview mit dem „Börsenblatt“: „Die Lehrkraft als Didaktiker setzt die Ziele und schaut: Was gibt es an Anregungspotenzial für mich aus dieser KI für diese ganz bestimmte Klasse, die vor mir sitzt.“
Ein zentrales Problem sei die fehlende Qualitätssicherung. „Ich plädiere daher schon lange für eine Zertifizierungsstelle, eine bundesweite Anlaufstelle, die Impulse für den Unterricht gibt, geeignete digitale Inhalte empfiehlt und zum Download zur Verfügung stellt oder eine Handreichung zur Unterstützung bei der Auswahl bietet“, so Knopf im Interview mit „Einfach.Digital.Lernen“. Auch die KMK empfiehlt zu prüfen, „inwieweit […] ein Verfahren etabliert werden kann, das die didaktische Qualität unterrichtlich nutzbarer KI-Anwendungen einordnet“. Noch fehlt es in Deutschland allerdings an einem entsprechenden Prüfsiegel oder einer zentralen Bewertungsstelle.
Ethische Fragen im Blickpunkt
Auch ethische Fragen und die Bedeutung von Medienkompetenz rücken durch den technologischen Fortschritt Künstlicher Intelligenz in den Fokus. Ulrike Cress, Direktorin des Leibniz-Institut für Wissensmedien, betont im Interview mit bildungsklick TV: „Das kritische Prüfen muss ganz, ganz zentral sein. Kinder müssen lernen, wie eine KI funktioniert.“ Denn KI-Systeme liefern teilweise zwar überzeugende, aber falsche Informationen – sogenannte Halluzinationen. Auch Fake News und Desinformation, oft täuschend echt in Form von Text, Audio und Video, kann eine KI erzeugen. Nicht zuletzt haben viele Systeme eine Prägung (Bias), die von ihren Trainingsdaten bestimmt wird. Die Fähigkeit zur Quellenkritik und zum Fact-Checking sei demnach entscheidend für die verantwortungsvolle Nutzung.
Ein weiteres Risiko: Der unterschiedliche Zugang zu KI-Technologie und notwendiger Infrastruktur kann bestehende Bildungsungleichheiten verstärken. Stefanie Hubig, Ministerin für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz, fordert: „Der Zugang zu KI darf dabei nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen.“ Diese und andere grundsätzliche Fragen müssten daher in einem Digitalpakt 2.0 zwischen Bund und Ländern geklärt werden. Bislang gibt es keine Einigung über die Anschlussfinanzierung für den bereits im Mai ausgelaufenen Digitalpakt Schule.
Systematische Integration in Aus- und Fortbildung
Klar ist, dass der Lehrkräftefortbildung eine besondere Bedeutung zukommt. „Letzten Endes ist das Wichtigste, dass die Lehrkräfte qualifiziert werden und dass es genügend Fortbildungen für Lehrkräfte gibt. Sie müssen lernen, was Digitalisierung konkret für ihr Fach und ihre Jahrgangsstufe bedeutet“, so Julia Knopf.
Die KMK betont, die Ausbildung und Fortbildung von Lehrkräften solle systematisch den Umgang mit KI integrieren. Auch sei beim „Lernen über KI“ neben einer grundlegenden informatischen Bildung die „Klärung ihrer ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen bei Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern sowie in der Bildungsadministration selbst erforderlich“. Geplant sei zudem, ein „hoheitlich betreibbares, datenschutzkonformes, für pädagogische Zwecke trainiertes und damit didaktisch besonders zielführendes Large Language Model für den schulischen Bildungsbereich“ bereitzustellen.
Die „Revolution im Klassenzimmer“ durch Künstliche Intelligenz – sie wird nur gelingen, wenn die Technologie didaktisch sinnvoll, ethisch reflektiert und mit entsprechend qualifizierten Lehrkräften eingesetzt wird. Oder wie Lehrer Florian Nuxoll es formuliert: „Eine Schule ohne Lehrerinnen und Lehrer wird auch in Zukunft eine schlechte Schule sein – eine Schule ohne KI aber auch.“
Vom 11. bis 15. Februar 2025 findet die didacta als weltweit größte und Deutschlands wichtigste Bildungsmesse unter dem Leitthema „Demokratie braucht Bildung. Bildung braucht Demokratie“ statt.
Gestalten Sie die Zukunft der Bildung durch einen Besuch der didacta 2025 in Stuttgart aktiv mit und sichern Sie sich hier ihr Ticket für die Bildungsmesse.
Diese Veranstaltungen könnten Sie interessieren:
Forum Berufliche Bildung
Podiumsdiskussion: Me, myself & AI: Chancen und Herausforderungen von KI als Lern-Buddy in der Berufsbildung
11.2.2025
13:45 bis 14:30 Uhr
Forum Bildungsperspektiven
Beruf mit Zukunft LehrKRAFT: KI - Arbeitszeit - Ganztag – Lehrergesundheit
11.2.2025
15:15 bis 16:00 Uhr
Forum Berufliche Bildung
Zukunftsorientiert ausbilden: Mixed Reality (MR) und KI für die Fachkräfte von morgen
12.02.2025
14:15 bis 14:45 Uhr
Forum Schulpraxis
Keine gute Bildung ohne Algorithmen? - was ist sinnvoll, was ist zu viel, was gehört verboten?
13.2.2025
11:30 bis 12:15 Uhr
Forum Frühe Bildung
Kita der Zukunft: Wie Digitalisierung und KI die Frühe Bildung herausfordern
13.2.2025
13:00 bis 13:45 Uhr
Forum Berufliche Bildung
Inklusion wird durch KI und adaptives Lernen (erst) möglich
15.2.2025
10:30 bis 12:00 Uhr
Interview mit Prof. Ulrike Cress: Wann ist KI im Unterricht sinnvoll, lernfördernd und eine Unterstützung der Lehrkraft – und wann ist sie es nicht? Diese und weitere Fragen beantwortet Prof. Ulrike Cress, Direktorin des Leibniz-Institut für Wissensmedien, im didacta-Themendienst 2024.
Nähere Informationen zu den Veranstaltungen der didacta 2025 finden Sie unter http://www.messe-stuttgart.de/didacta, auf Facebook, Instagram und LinkedIn.
Information für Redaktionen: Interviews, Videos, Texte und Zitate aus diesem Themendienst können gerne zur redaktionellen Berichterstattung verwendet werden. Beim Bildmaterial beachten Sie bitte die Nutzungshinweise am jeweiligen Bild. Über ein Belegexemplar an info(at)bildungsklick.de freuen wir uns.
Quellenangabe: Dieser Beitrag erschien zuerst im didacta Themendienst.
Der Themendienst im Überblick: Weitere Artikel und Interviews zur didacta – die Bildungsmesse 2025 finden Sie im Dossier auf www.bildungsklick.de.