Additive Fertigung punktet bei Reparatur und Nachhaltigkeit
Wie finden Zukunftstechnologien den Weg in die Fabrik? Obwohl die Integration der additiven Fertigung (Additive Manufacturing, AM) Vorteile in der Wettbewerbsfähigkeit verspricht, scheinen viele Unternehmen zögerlich und mit den Verfahren wenig vertraut zu sein. Das gilt vor allem für kleine und mittelständische Betriebe des Maschinenbaus, deren breites Anwendungsspektrum jedoch wichtig wäre, damit sich AM aus der Nische der Prototypen- und Kleinserienfertigung in die industrielle Produktion entwickeln kann. Hilfreich sind Lösungen, die sich schnell und zu akzeptablen Kosten realisieren lassen. Es bleibt allerdings die Herausforderung, notwendiges Know-how und Verständnis für die Prozesskette zu entwickeln sowie ausreichend geschultes Personal bereitstellen zu können.
Der VDW (Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken), Frankfurt am Main, attestiert den additiven Fertigungsverfahren ein starkes Wachstumspotenzial und weitere Einsatzfelder, die aktuell vor allem in der Luft- und Raum-
fahrt, in der Medizintechnik und im Automobilbau zu finden sind. 3D-Drucker für die additive Fertigung von Waren aus Metall gehören in die Nomenklatur der Werkzeugmaschinen und finden sich in den Messen des VDW. Dazu gehört seit neuestem auch die NORTEC (23. bis 26. Januar 2024) in Hamburg, die der VDW gemeinsam mit der Messe Stuttgart erstmals verantwortet. Auf der Fachmesse für Produktion bieten Zulieferer und Auftragsfertiger ebenso ihre Leistungen an wie Spezialisten für die vor- und nachgelagerten Stationen der Wertschöpfungskette.
Reparaturtechnologien schonen Ressourcen
„Von mittelständischen Unternehmen wird additive Fertigung vor allem für Reparatur und Instandhaltung nachgefragt“, sagt Dr. Clemens Kuhn, CEO bei der ALOtec Dresden GmbH, die zu den Ausstellenden der NORTEC gehört.
Das Unternehmen, eine Ausgründung des Fraunhofer IWS (Institut für Werkstoff- und Strahltechnik), ist spezialisiert auf die Verfahren Laserhärten und Laserauftragsschweißen mit Pulver und Draht. Wie Kuhn erläutert, handelt es sich um Technologien, die vor allem durch die definierte Energieeinbringung, die der Laser auf das Bauteil bringt, Vorteile gegenüber konventionellen Härteverfahren und Schweißtechnologien aufweisen. Das Thema Nachhaltigkeit spiele für Anwenderinnen und Anwender, die den Kontakt zu ALOtec suchen, eine große Rolle, sagt Kuhn: „Mit unseren Laseranlagen und Technologien bieten wir die Möglichkeit, Bauteile zu reparieren und aufzuarbeiten, anstatt sie zu entsorgen und neu anzufertigen.“ Als Beispiel nennt er das Aufschweißen eines Zahnes auf dem reparaturbedürftigen Zahnrad-Bauteil. Die Reparatur sei auch unter dem Gesichtspunkt von Materialknappheit und Lieferzeiten von Vorteil. Auf der NORTEC zeigt das Unternehmen zudem sein Know-how beim mobilen Einsatz von Laserrobotern für Härten und Auftragsschweißen als wichtige Komponente, um Unternehmen aus den Bereichen Schiffs- oder Maschinenbau sowie Offshore-Produzenten anzusprechen und zu überzeugen.
Rückenwind in Zeiten von Klimaschutz und Dekarbonisierung
Die wachsende Bedeutung von Ressourcenschonung und Energieeffizienz bei der Nachfrage nach AM-Verfahren bestätigt Prof. Ingomar Kelbassa, Leiter des Fraunhofer IAPT (Einrichtung für Additive Produktionstechnologien), Hamburg: „In jüngster Vergangenheit nehmen Anfragen hinsichtlich Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung signifikant zu, gerade von kleinen und mittelständischen Unternehmen“, stellt er fest. Wenn sich AM-Fertigungsrouten nicht nur als produktiver, sondern auch als ressourcenschonender und den CO2-Footprint senkend erwiesen, dann steige die Akzeptanz in der Industrie spürbar, so der Wissenschaftler. Des Weiteren hänge die Akzeptanz aber entscheidend von der Verfügbarkeit von Fachkräften im nichtakademischen Bereich, also von Technikerinnen und Technikern ab.
„AM ist ein zu automatisierendes Handwerk“, betont Institutsleiter Kelbassa. Am Fraunhofer IAPT arbeite man daher eng mit der Handwerkskammer Hamburg und deren Elbcampus, um ab Mitte 2024 einen Fortbildungslehrgang zur „Fachkraft 3D-Druck“ anbieten zu können. Die Industrialisierung von AM sei in Hamburg strategisches Ziel: „Unsere Leuchtturminitiative IAMHH – Industrialized Additive Manufacturing Hub Hamburg – adressiert sowohl technisch-inhaltliche Themen als auch Ausbildungsthemen im akademischen und nichtakademischen Bereich.“ Etwa 70 Unternehmen sowie nahezu alle namhaften F&E-Partner aus der Region sind an Bord, um die Industrialisierung von AM zu beschleunigen.
Wissenschaft und Wirtschaft aktiv bei Ausbildung und Qualifizierung
Die Ausbildung und Qualifizierung von Fachkräften ist ein Dauerbrenner, nicht erst seit die WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik) wegen rückläufiger Studierendenzahlen die Alarmglocken läutet. Der Zusammenschluss führender Professorinnen und Professoren gründete im Jahr 2015 die WGP-Produktionsakademie. Sie bietet Fortbildungsveranstaltungen zu Zukunftstechnologien an, darunter auch die Reihe „Mechatronische Funktionalisierung durch 3D-Druckverfahren“.
Bereits 2009 gründete der VDW die Nachwuchsstiftung Maschinenbau, die sich als Partner der beruflichen Bildung versteht. Die Stiftung, die ebenfalls
auf der NORTEC präsent ist, widmet sich innovativen Technologien wie der additiven Fertigung und neuartigen Materialien, aber auch neuen Formen der Arbeitsorganisation.
In den Unternehmen ist dennoch Eigeninitiative gefragt, angesichts „großer Defizite in der Aus- und Weiterbildung“, die auch Jörg Vollmann-Schipper, Vertriebsleiter der Firma SolidCAM Additive, Schramberg, beklagt. Zwar sei das Interesse der Bildungseinrichtungen an Zukunftstechnologien wie AM durchaus vorhanden, sagt er. Dennoch gebe es kaum Spielraum, dies auch in den Unterrichtsplan einzuarbeiten. So werde der Weg über die Teilnahme an Veranstaltungen gesucht, was sich jedoch als „lang und steinig“ erweise.
Implementierung leicht gemacht
SolidCAM, einer der führenden Anbieter von CAD/CAM-Lösungen und ebenfalls ausstellendes Unternehmen auf der NORTEC, möchte den Zugang zur additiven Fertigung vor allem für Maschinenbauer erleichtern und besonders
KMU dabei unterstützen, komplexe Metallteile mit hoher Geschwindigkeit und Wiederholbarkeit zu drucken. Dafür entschloss sich Firmenchef Emil Somekh, mit dem US-amerikanischen Unternehmen Desktop Metal zusammenzuarbeiten, einem Hersteller für 3D-Drucksysteme, und gründete die SolidCAM Additive GmbH. „Ausschlaggebend war die Erkenntnis, dass die Einführung additiver Fertigung so viel mehr ist als nur das Aufstellen eines 3D-Metalldruckers“, erläutert Somekh.
Die Erfahrung aus jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit Werkzeugmaschinenherstellern soll helfen, die Skepsis gerade bei kleinen Unternehmen zu überwinden. „Wir spüren schon eine gewisse Zurückhaltung bei KMU“, bestä-
tigt Vertriebsleiter Jörg Vollmann-Schipper. Um Kundinnen und Kunden von den Vorteilen von AM zu überzeugen, werden zunächst Daten-sätze für Benchmarks erbeten. Das anfragende Unternehmen erhält ein gedrucktes
Bauteil samt Kostenschätzung. „In dieser Phase sind wir mit dem Kunden in engem Kontakt, damit wir bei Bedarf das gedruckte Bauteil auf seinen Maschinenpark für die spätere Bearbeitung auslegen können.“
Das Ziel: Verständnis für den gesamten Prozess vermitteln
Um die Maschinenbaubetriebe zu unterstützen, wurden bei SolidCAM zwei Kompetenzzentren eingerichtet, die 3D-Druck und CNC-Bearbeitung integrieren. Der 3D-Druck werde, wie es heißt, auch weiterhin eine Nachbearbeitung
durch CNC-Bearbeitung erfordern. So wird sichergestellt, dass Teile die geforderten Spezifikationen erfüllen. Die Software-Experten aus dem Schwarzwald streben dabei die durchgängige Verarbeitung der Daten vom CAD-Programm über den 3D-Druck bis zur Programmierung der Bearbeitungsmaschinen mittels der SolidCAM-Software an. Wie dies aussehen kann, macht Vollmann-Schipper an einem Beispiel aus der Medizintechnik deutlich: Auf eine gedruckte Knochenplatte wurde auf beiden Seiten 1 mm Material aufgedruckt. Zusätzlich wurde ein Spannbereich hinzugefügt, um eine definierte Position im Bearbeitungszentrum zu haben. Somit sei keine spezielle Vorrichtung zum Bearbeiten der Bauteile notwendig. Es werde Zeit und Geld in der finalen Bearbeitung gespart.
In einer ganzheitlich zu betrachtenden Fertigungsroute werden die Nach- und Endbearbeitung beim Fraunhofer IAPT als die wahren Zeit- und Kostentreiber ausgemacht. „Wird AM als End2End-Fertigungsroute betrachtet“, erläutert Ingomar Kelbassa, „stellt sich heraus, dass nur etwa 5 bis 20 Prozent der Fertigungszeit und der daraus resultierenden Kosten direkt dem 3D-Druckprozess zugeordnet werden können“. Viel mehr Zeit und Kosten erforderten etwa das Entpulvern, Bauteilentfernung von der Bauplattform, Entfernen der Stützstrukturen, Wärmebehandlung, Fräsen und weitere Prozessschritte zur Oberflächenveredelung. „Insofern ist die fortschreitende Industrialisierung von AM mitnichten eine reine Frage von Prozessentwicklung des 3D-Drucks“, so Kelbassa, „sondern vielmehr eine Frage der ganzheitlichen Optimierung der gesamten Fertigungsroute.“ Entscheidende Zutaten hierzu seien Themen wie lückenlose Virtualisierung, Automatisierung, Maschinentransferierbarkeit, Linienintegration sowie Kopplung an MES- und ERP-Systeme. Gerade bei den industrierelevanten Themen konnten in jüngster Vergangenheit erhebliche Fortschritte erzielt werden. Gelingt es dann noch, die Akzeptanz bei kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen, ist die Zuversicht von Kelbassa nachvollziehbar, der betont: „Die Industrialisierung von AM nimmt Fahrt auf!“
Autorin: Cornelia Gewiehs, Fachjournalistin, Rotenburg (Wümme)
Bildunterschriften
01 Kuhn ALOtec
Dr. Clemens Kuhn, CEO bei der ALOtec Dresden GmbH. Das Unternehmen bietet Laseranlagen und Technologien, um Bauteile zu reparieren und aufzuarbeiten, statt sie zu entsorgen und neu anfertigen zu müssen.
Foto: ALOtec GmbH
02 ALOpowderProzess
ALOtec bietet Lösungen, um auch schwer zugängliche Bereiche zu reparieren oder neue Strukturen für die additive Fertigung zu generieren.
Foto: ALOtec GmbH
03 Kelbassa Fraunhofer IAPT
Prof. Ingomar Kelbassa, Leiter des Fraunhofer IAPT, sieht in der Lieferkettenproblematik eine Mission: „Die Resilienz der gesamten AM-Fertigungsroute muss das Ziel sein, von der Rohmaterialerzeugung bis zum Ende des Produktlebenszyklus. Wir müssen letztendlich in der Lage sein, Fertigungsrouten unabhängig von Drittstaaten zu betreiben.“
Foto: privat
04 Vollmann-Schipper SolidCAM Additive
Jörg Vollmann-Schipper, Vertriebsleiter bei SolidCAM Additive, stellt beim Thema AM eine gewisse Zurückhaltung bei KMU fest. Umso wichtiger sei der enge Kontakt und die Unterstützung, um auch kleine Betriebe in die
Lage zu versetzen, komplexe Metallteile mit hoher Geschwindigkeit und Wiederholbarkeit zu drucken.
Foto: SolidCAM Additive
05 SolidCAM Additive Knochenplatte
Eine Knochenplatte als Beispiel aus der Medizintechnik: Die Software-Experten von SolidCAM Additive streben eine durchgängige Verarbeitung der Daten vom CAD-Programm über den 3D-Druck bis zur Programmierung der Bearbeitungsmaschinen an.
Foto: SolidCAM Additive
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Cornelia Gewiehs
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Hintergrund
NORTEC 2024 – Fachmesse für Produktion
Vom 23. bis 26. Januar 2024 findet die NORTEC in Hamburg statt. Als Fachmesse für Produktion bietet sie eine Plattform für die Industrie in Norddeutschland, den angrenzenden skandinavischen Märkten, den Niederlanden und in Belgien. Angebotsschwerpunkte sind Werkzeugmaschinen und Fertigungsanlagen, Präzisionswerkzeuge, Robotik und Automation, Software-, Digital- und IT-Lösungen, Steuer- und Regeltechnik, Mess- und Prüftechnik sowie Qualitätssicherung, Elektronikfertigung, Bauteile und Baugruppen, Materialien, Lohn- und Auftragsfertigung, Dienstleistungen, Förder- und Lagertechnik sowie Logistikmanagement, Betriebsausrüstung und Zubehör. Zielgrup-
pen sind Entscheiderinnen und Einkäufer aus der Industrie (Maschinen- und Anlagenbau, Metallbe- und verarbeitende Industrie, Fahrzeugbau, Luft- und Raumfahrttechnik, Medizintechnik, Werkzeug- und Formenbau, Elektro- / Elektronikindustrie, Maritime Technik / Schiffbau, Feinmechanik / Optik, Lohnbetriebe, Zulieferindustrie), dem Dienstleistungssektor, dem Handwerk und dem Handel. Die Messe wird gemeinsam vom VDW und der Messe Stuttgart im Zwei-Jahres-Turnus veranstaltet.